Die 29-jährige Fanny Kraus aus Kaisersteinbruch beschreibt in einem Brief an ihre Tante und Onkel in den USA die Situation der Bevölkerung und der Familie im Jänner 1921. Verzweiflung, Sehnsucht, Armut und Enttäuschung werden sichtbar gemacht. Fanny wanderte, kurz nachdem sie den Brief verfasst hatte, mit ihrem Mann in die Tschechoslowakische Republik aus, um sich eine neue Existenz aufzubauen. Ihr Sohn zog nach dem Krieg nach Thüringen und durfte aufgrund seines Dienstes in der Deutschen Wehrmacht nicht mehr in sein Heimatland zurückkehren. Fannys Tochter Maria wanderte in die USA aus. Fanny blieb in der Tschechoslowakischen Republik und verstarb 1961 beim Besuch ihrer Kinder in Thüringen.
„Kaisersteinbruch, am 15.1.1921
Lieber Onkel u. Tante!
Am Anfang meines Schreibens grüßen wir die ganze Familie u. teilen euch mit, dass wir alle gesund sind, das gleiche hoffen wir von Ihnen. Sie werden meine Schrift entschuldigen. Ich muss euch schreiben, was wir in Europa machen. Not u. Elend haben wir genug u. von Tag zu Tag wird es schlimmer. Wir glaubten wenn Frieden wird, wird alles besser, aber leider sind die Grenzen gesperrt. Wir müssen uns jedes Mal, wenn wir hinüber wollen einen Pass lösen. Der kostet jedes Mal 30 Kronen; und wir müssen nach Österreich hinüber, weil wir in Ungarn weder Kleider, Schuhe, Salz, Zucker, Zündhölzer usw. bekommen und wir doch verschiedene Gegenstände brauchen. Tagelang sind wir oft ohne ein Stück Brot. 1 kg Mehl kostet 50 Kronen, 1 kg Schmalz 280 Kronen, 1 Paar Schuhe kostet 1.300 bis 2.000 Kronen. Wir sind nicht im Stande etwas zu kaufen und im Steinbruch ist seit dem Jahr 1914 keine Arbeit zu bekommen. Wir möchten arbeiten, aber es gibt keine Arbeit. Niemand lässt was von den Unternehmern machen. Sie glauben es wird alles noch billiger.
Die Amerikaner sind alle unglücklich, weil sie sind nach Hause gefahren u. mit uns müssen sie Not leiden. Die hier einen Besitz haben verkaufen ihn, damit sie wieder zurück fahren können. Der Holzapfel Lenz hat auch schon alles verkauft. Hat seinen Söhnen nicht mal ein Winziges von deren Erbschaft gegeben, ist aber mit deren Geld hinübergefahren nach Amerika.
Dann möchte ich über den Onkel Johann schreiben. Wie er gekommen ist, haben wir uns riesig gefreut; aber er war so stolz und hat uns gar nicht besucht. Mutter u. Vater sind dann zu ihm hingegangen u. stellten ihn zur Rede, warum er sie nicht besucht hat. Er sagte ganz kalt, er liebt seine Schwester nicht. Er ist seit November schon verheiratet. Er hat den Zeis Mathias seine Frau geheiratet und Tante Resi hat er geschlagen und hinausgeschmissen. Das war ihr Lohn für 16 Jahre Arbeit. Hätte ihr doch ein paar Dollar geben können u. jetzt ist er auf alle böse. Wir leben auch ohne ihn.
(Aus: Fritz Damerius, Breitenbrunn. Geschichte und Geschichten (erweiterte und ergänzte Ausgabe Wien 2014. S. 43 – 45)
Anlässlich des 100-jährigen Jubiläums des Burgenlandes haben sich die Schülerinnen und Schüler der 2b HLW Theresianum Eisenstadt im Unterricht mit Fanny Kraus`Brief beschäftigt, den ihnen Franz Sattler zur Verfügung gestellt hat. Ich möchte mich hiermit für die Überlassung des Briefes recht herzlich bedanken.
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