Sind geschlechtstypische Verhaltens- und Denkweisen im Wesentlichen angeboren oder können diese auch anerzogen werden? Das ist eine Frage, die sich insbesondere dann stellt, wenn man sieht, dass der Frauenanteil in technischen Berufen trotz zahlreicher Initiativen und Förderprogramme relativ gering ist. In einem Zeitungsinterview im Februar 2018 vertrat ein Direktor einer HTL die Meinung, dass die Begeisterung für Technik schon in der Volksschule geweckt werden müsse, doch dies nicht der Fall sei, da dort hauptsächlich Frauen unterrichten, die eher wenig Bezug zu Technik hätten. Die Antwort einer engagierten burgenländischen Volksschullehrerin ließ nicht lange auf sich warten:
„[…] Haben Sie sich eventuell die Mühe gemacht zu recherchieren, wie viele Angebote zum Thema Technik für Kindergärten und Volksschulen bundesweit bereits initiiert wurden und erfolgreich laufen? […] Wie schaut es mit den Neuen Mittelschulen und Unterstufengymnasien aus? Ist es diesen nicht gestattet, Kinder für Technik zu begeistern? Wo doch die technikuninteressierten Volksschullehrerinnen bereits vieles versäumt haben und am mangelnden Technikinteresse der Mädchen Schuld tragen. Und nicht zuletzt – dürfen wir das Elternhaus jeglicher Verantwortung entbinden? Soll alles nur mehr in den Schulen passieren? Wird Mädchen im Elternhaus Mut gemacht bzw. erfahren Sie die nötige Unterstützung, wenn sie sich für einen technischen Beruf interessieren? Oder drängt man sie in einen „Frauenberuf”?
Ich bin Volksschullehrerin aus Leidenschaft, weil es kaum eine Altersgruppe gibt, die so leicht und endgültig für etwas zu begeistern ist, wie Volksschulkinder. Und so wie mich gibt es unzählige engagierte Frauen und Männer, die ebenso begeisterte Lehrerinnen und Lehrer sind. Die sich nicht darüber beklagen, dass sie außer den Grundfertigkeiten in Schreiben, Lesen und Rechnen den Kindern in vier Jahren auch noch Computerkenntnisse, Rechtschreibung, Grammatik, Geometrie, Sozialverhalten, Fertigkeiten im technischen und textilen Werken sowie Bildnerischer Erziehung, Musikalisches Wissen, Singen, Rhythmik, Englisch oder eine andere Fremdsprache beibringen sollen, mit modernen Medien vertraut machen und fit für die Welt des Internets, erste Einblicke in Geschichte, Geographie, Biologie, Physik, Chemie auf altersadäquater Basis, Schifahren, Schwimmen und Eislaufen, Geräteturnen und Leichtathletik, täglich turnen sollen wir auch, für die Bildungsstandards üben, Projektunterricht, Transition usw. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. […]
Trotz unseres unermüdlichen Engagements gelingt es uns dennoch nicht, aus jedem unserer Schülerinnen und Schüler einen Musiker, eine Mathematikerin, einen Arzt oder Ärztin oder eine Technikerin oder Techniker zu machen. Das hängt von sehr vielen Faktoren ab, auf die wir nicht unbedingt Einfluss haben. […]
Mit freundlichen Grüßen
V.R., Volksschullehrerin im Burgenland“(https://www.meinbezirk.at/oberwart/c-lokales/leserbrief-einer-volksschullehrerin-wunderwuzzi-oder-suendenbock_a2419410)