Wer sind die wahlwerbenden Personen aus dem neuen Bundesland, die sich 1923/24 der Landtags- bzw. der Nationalratswahl stellten? Wie steht es um ihre nationale Gesinnung, welchen Rückhalt in der Bevölkerung haben sie, welcher Religionsgemeinschaft bzw. Sprachgruppe gehören sie an oder welche charakterlichen Eigenschaften besitzen sie? Diese und noch mehr Fragen sollte damals die Gendarmerie beantworten.
Auszug aus der Beschreibung der wahlwerbenden Personen 1923:
„[…] Kroboth Rudolf, Landwirt, Donnerskirchen: Ist Obmann des Bauernbundes und als solcher bei der christlichsozialen Partei. Bedeutende Intelligenz und Rührigkeit. Besitz auch nationales Empfinden.
Dr. Ratz Alfred, Landesrat, Rust: Begabter Redner, bedeutende Bildung, seine Bequemlichkeit ist grösser als sein Fleiss, vormals magyarisch Christlichnationaler hat er sich derzeit der christlichsozialen Richtung angeschlossen. Ist als Protestant Anhänger der Zivilehe.
Zechmeister Rudolf, Wagnermeister, St. Georgen: Betätigt sich bloss innerhalb der Gemeinde; bei geringer Bildung besitzt er eine erstaunliche Gewandtheit und Klugheit. National gesinnt.
Mittermeyer Mathias, Schuldirektor, Neufeld: Obmannstellvertreter des burgenländischen Lehrerverbandes. National gesinnt, biederer Charakter, besitzt wegen eines gewissen Starrsinnes wenig Eignung zum Politiker.
Necesany Emilian, Forstdirektor, Eisenstadt: Von grossen persönlichen Ehrgeiz, der an Eitelkeit grenzt und dem zuliebe er seine politische Einstellung zu wechseln pflegt. Scheinbar national gesinnt. Seine Versprechungen sind selten verlässlich. Besitzt Gewandtheit im Reden, aber wenig Sachkenntnis.
Probst Anton, Schuhmacher, Hornstein: Von Geburt Kroate, sozialdemokratischer Parteiführer mit gemässigter streng rechtlicher Richtung. Hat auf seine Parteigenossen grossen Einfluss und geniesst auch die entsprechende Achtung von Seite der Angehörigen anderer Parteirichtungen. Spricht kroatisch, deutsch und ungarisch und ist ein ziemlich guter Redner. Er ist österreichfreundlich gesinnt und übt in diesem Sinne auf die kroatische Bevölkerung einen günstigen Einfluss aus. Große Gewissenhaftigkeit und Pflichttreue sowie unermüdlicher Eifer als Bürgermeister seiner Gemeinde.
Brunner Paul, Landmann, Breitenbrunn: Obmann der sozialdem. Partei in Breitenbrunn; hat sich früher als Wilderer stark betätigt. Denkt und handelt unsachlich, gefühlsmäßig. Leicht erregbar.
Wimmer Josef, Landtagspräsident, Neufeld: Obmann des Land- und Forstarbeiterverbandes. Aus engsten Verhältnissen stammend besitzt er einen schlagenden Mutterwitz, einen gesunden Menschenverstand mit viel Humor. Großzügiger Organisator. War Präsident des ersten burgenländischen Landtages. […]“
(BLA; Polizei (4-5) 1924, 61-300)
[…] schreibt es der Historiker Herbert Brettl am heutigen Wahlsonntag auf seinem “Burgenland History Blog”. Weitere Kostproben […]