Der sogenannte „Gulaschkommunismus“, eine liberalisierte Form des Staatssozialismus, gewährte den Ungarn in den 1980er Jahren relativ viele Freiheiten und einen bescheidenen Wohlstand. Ebenso waren für die Bürger der Volksrepublik Ungarn, im Vergleich zu anderen Staaten des Ostblocks, die Reisebeschränkungen und die Einreisebestimmungen weniger restriktiv und der Einkaufstourismus aus Österreich gehörte bald zum Alltag. 1988 erhöhte sich das Tempo der Veränderung in Ungarn rasant. Mit dem 1. Jänner 1988 hatte jeder ungarische Staatsbürger Anspruch auf den sogenannten „Weltpass“, der den Bürgern unbeschränkte Reisefreiheit in alle Staaten der Welt gewährte. Bald entstand ein wahrer Reiseboom aus Ungarn in den Westen. Hunderttausende überschritten die Grenze und nutzten ihre Ausflüge in den Westen vielfach zum Einkaufen. Die Wochenzeitung „bvz“ berichtet am 30. März 1988 über die veränderte Handelssituation:
„Klagelaute, die manche burgenländische Gewerbetreibende ob der „Einbahnstraße“ in das Ungarland anstimmen, werden immer leiser. Es ist längst nicht mehr so, daß die Wiener „Pepi-Tant“, der Badener „Schani-Onkel“ oder auch transleithanische Landesbewohner magyarische Läden von Ödenburg bis Steinamanger plündern – und mit wohlgefüllten Auto-Kofferräumen durch das Burgenland brausen. Daß sich einige Burgenländerinnen die Haare in einem Ödenburger Salon ondulieren lassen und der Herr Gemahl mittlerweile in volkseigenen Betrieben den Krimsekt-Vorrat überprüft, mag schon vorkommen. Man karrt jedoch nicht auf einer „Einbahn“ gute Schillinge nach Ungarn – Magyaren verstehen es auch, in Österreich Währungen von Dollar bis Forint unter die Leute zu bringen.
Nur: Sieht man von einigen cleveren burgenländischen Geschäftsleuten ab, deren Adressen zwischen Mosonszentpéter und Szentgotthard weitgehend bekannt sind, geht das Geschäft mit den Ungarn am Burgenland vorbei. Die „Shopping City Süd“ oder die Wiener Mariahilferstraße – da kaufen Magyaren, jene elektronischen Geräte, die gut und teuer sind. Nicht weniger als 500.00 Ungarn haben bereits einen Paß beantragt, mit dem sie ungehindert (und wenn gewünscht, Tag für Tag) nach Österreich ausreisen dürfen. […]“ („bvz“ vom 30. März 1988. S. 3)
„Clevere burgenländische Geschäftsleute“ fanden sich beispielsweise auch in Nickelsdorf, wo zu den zwei bestehenden Elektrogeschäften innerhalb kürzester Zeit weitere 24 Geschäfte aufgebaut wurden, die den ungarischen Käufern Elektrowaren anboten. Wenige Jahre später war der Einkaufsboom wieder vorbei und es gab wieder nur die zwei „renommierten“ Geschäfte.
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