Die Schwärmerei ist mir vergangen…

 

Auszüge aus einem Beschwerdebrief eines enttäuschten Neusiedler See-Urlaubers aus Linz vom Sommer 1952:
Podersdorf„Ich habe immer für den Neusiedlersee geschwärmt, da ich einmal zu Pfingsten 1944 in Neusiedl a/S. badete. […] Bei grösster sommerlicher Hitze kamen wir am 14.8. dort (Anmerkung: Podersdorf) an. Mit dem Gepäck mussten wir 10 Minuten in knöcheltiefen Staub die sogenannte „Seestrasse“ entlang waten. […] Natürlich war kein Zimmer frei. Nach stundenlanger Wartezeit in dem nicht sehr sauberen Gastzimmer, sagte man uns, wir können in einem Privatquartier unterkommen. […] Wir stellten das Gepäck ein und gingen schleunigst zu dem angepriesenen herrlichen Badestrand. Aber welche Enttäuschung! Ei schadhafter Brettersteig führte ohne Stufen in den See hinaus. […] Der Sandstrand war vorhanden, jedoch diente er zum Teil als Ablagerungsstätte für rostige Konservenbüchen, zerbrochen Ziegeln und Glasscherben. Es war kein Schatten weit und breit und keine Möglichkeit zu liegen. […] Der See war so stark gesunken, dass er nur bis zu den Knöcheln ging, an den tiefsten Stellen bis zu den Knien, vom Schwimmen war natürlich keine Rede. […] Der Wein war enorm teuer, trotzdem wir in der Weingegend waren. ¼ Muskateller kostete S 6.50. […] Abends in unserem Privatquartier war wohl aufgeräumt, aber die Wolldecke nicht überzogen, das Waschgeschirr sehr beschädigt und es konnte jeder in unser Zimmer von der Küche hineinsehen. Es war sehr unruhig, den in der Nacht kam der betrunkene Nachtwächter 3 mal zu unserem Fenster (ebenerdig) und liess sich nicht überzeugen, dass er es mit Sommergästen zu tun hatte und nicht mit unserem Quartiergeber. Um 4 Uhr früh blies der Kuhhirte in sein Horn um die Kühe zu sammeln. Unter diesen Umständen war an keinen Schlaf mehr zu denken. […] Am nächsten Tag bekamen wir beim Wirten nicht einmal was zu trinken (außer Wein), da alle anderen Getränke ausverkauft waren. Wir ergriffen nach 2 tägigen Aufenthalt die Flucht. Meine Schwärmerei für den schönen Neusiedlersee ist mir begreiflicher Weise vergangen.
Ich ersuche Sie höflichst, sehr geehrter Herr Doktor, meine Beschwerden weiterzuleiten, damit nicht mehreren Erholungssuchenden der Urlaub verpatzt wird. Denn: Das Burgenland ist noch lange nicht für seine Gäste bereit.
Hochachtungsvoll Ingeborg X. aus Wien XII.“