Theresia S. und ihr Gatte Josef lebten in Markt St. Martin, wo Josef eine kleine Tischlerei betrieb. Im Sommer 1939 erkrankte Theresia. Sie fiel in große Depressionen und nahm kaum mehr Nahrung zu sich. Ihr Gatte machte sich wegen ihres schlechten Gesundheitszustandes große Sorgen und wandte sich deshalb an die Gesundheitsbehörden. Er vertraute den Ärzten und hoffte, dass sie sich der Krankheit Theresias annehmen würden. Die Rassenideologie des Nationalsozialismus, die besagte, dass kranke Menschen nicht zur „Volksgemeinschaft“ gehören, war ihm fremd. Theresia wurde im März 1940 vom Amtsarzt des Kreises Oberpullendorf in die „geschlossene“ Heil- und Pflegeanstalt eingewiesen.
In weiterer Folge besuchte Josef Seidl seine Gattin in der Heil- und Pflegeanstalt Gugging und fand sie in einem fürchterlichen Zustand vor. Schockiert von diesem Erlebnis schrieb er im November 1940 an die Anstaltsleitung: „Wenn die Ärzte nicht in der Lage sind zu helfen, braucht man Sie nicht monatelang einsperren, da kann man Sie ruhig herausgeben. Bei meinem letzten Besuch am 1.11.1940 habe ich gesehen, dass meine Frau sehr stark vernachlässigt wird, meine Frau ist nicht ein Stück Vieh, dass man sie Monate lang einsperrt und sich weiters nicht interessiert für Sie. Ich will meine Frau daher jedenfalls heraus von der Anstalt. Ich bitte daher mir bekannt zugeben bis zu welcher Zeit ich meine Frau abholen kann. In Fall man mir meine Frau nicht heraus gibt, bin ich gezwungen durch einen Advokaten die nötigen Schritte einleiten zu lassen.“
Josefs äußerst mutigen Formulierungen hatten keinen Erfolg. Der Anstaltsdirektor teilte ihm mit, dass es eine behördlich verhängte Entlassungssperre gibt und vertuschte, dass PatientInnen der Anstalt dem Tötungsprogramm des NS-Regimes ausgeliefert werden. Zudem stellte der Leiter der Anstalt unmissverständlich fest, dass er bei einer abermaligen „Beleidigung“ bei den Behörden Anzeige erstatten werde.
Theresia konnte vor dem NS-Euthanasieprogramm nicht mehr gerettet werden. Am 9. Jänner 1941 wurde sie von Gugging in die Tötungsanstalt Hartheim bei Linz verlegt und kurz darauf ermordet. Theresia ist eines von rund 350 dokumentierten burgenländischen Opfer der NS-Euthanasie.
(Aus: Herbert Brettl, Michael Hess: NS-Euthanasie im Burgenland. „In eine der Direktion nicht genannte Anstalt übersetzt“. In: Wissenschaftliche Arbeiten aus dem Burgenland (WAB) 136. Eisenstadt 2010. S. 62)
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