Neben der Seelsorge sah es die Kirche lange Zeit als ihre Pflicht an, auch als oberste Moralinstanz im Dorf aufzutreten. Insbesondere bei der Erziehung der Jugend versuchten die Dorfpfarrer ihre Autorität, die sie kraft ihrer Rolle innehatten, einzusetzen.
Pfarrer Flicker aus Tadten schreibt am 13.6.1937 an die Gemeindeverwaltung: „Unhaltbare Zustände im Gasthaus Huber. Die Sperrstunde wird nicht eingehalten und das Gasthaus hat oft bis zur Morgenstunde, auch bei verschlossenen Türen, offen. Dadurch wird die Wirtschaft geschädigt und die Jugend verdorben, denn es befinden sich auch Jugendliche, ja sogar Schulpflichtige im Gasthaus. Die Kegelbahn ist auch an Sonn- und Feiertagen, während des Gottesdienstes offen.“ (Gemeindearchiv Tadten. Gemeinderatsberichte)
Im ersten Absatz von dem Bericht „Verdorbene Jugend“ in Tadten aus dem Jahr 1937 wird darauf hingewiesen, dass der Pfarrer Flicker es überhaupt nicht begrüßt, dass das Ortswirtshaus Huber Tag und Nacht geöffnet hat und zusätzlich auch sehr viele schulpflichtige Jugendliche unter den Gästen sind. Das Wirtshaus verderbe die Jugend und sei eine Belastung für die Wirtschaft. Dazu ist noch zu sagen, dass die Kirche eine sehr respektierte Moralinstanz zur damaligen Zeit in der Gemeinde war. Auch in der Erziehung der Jugendlichen mischte sich die Kirche ein.
Warum muss sich der Pfarrer ins Leben der Jugendlichen einmischen? Es ist sehr wohl die Entscheidung der Erziehungsberechtigten, wohin ihre Sprösslinge gehen und wie lange es ihnen erlaubt ist, wegzubleiben. Für die Jugendlichen ist die Pubertät eine schwierige Zeit. Es ist eine Zeit der Übergänge. Der eigene Körper verändert sich, die Hormone spielen verrückt. Die Jugendlichen stellen die Rolle der Eltern in Frage. Die Beziehung zu Gleichaltrigen wird von den Heranwachsenden gesucht. Soziale Beziehungen, also ein Aufbau eines Freundeskreises, nimmt in dieser Phase einen wichtigen Platz im täglichen Leben der Jugendlichen ein. Mit dem Erlangen von Unabhängigkeit findet ein Ablöseprozess von den Eltern statt. Es bilden sich eigene Werte und Normen, aber auch Kompetenzen, die eine selbstständige Existenz ermöglichen. Man experimentiert mit beobachteten Verhalten und mit Rollenmustern. Ein Ausprobieren von Alkohol, Tabak und eventuell auch Suchtmittel gehören dazu. Viele Jugendliche testen auch die Grenzen in der Familie aus. Meiner Meinung nach hat der Pfarrer deshalb keine Entscheidungs-und Erziehungsgewalt. Natürlich ist der Pfarrer eine moralische Instanz im Dorf und die meisten Pfarrer fühlen sich auch verpflichtet ungehobeltes Verhalten zu bekritteln. Jedoch sollte er auch seine Grenzen kennen.
Ich denke im Wirtshaus ist auch ein guter Treffpunkt für Dorfgruppen und Burschenschaften. Es ermöglicht Geselligkeit und Gemütlichkeit. Die Geselligkeit ist der Kitt einer Gesellschaft. Ob es ein Familienanlass oder eine Burschenrunde oder ein Stammtisch ist, sie geben uns die Möglichkeit, die eigenen vier Wände zu verlassen und andere Leute zu treffen. Davon profitieren wir letztlich alle – nicht zuletzt profitiert davon auch unsere Demokratie. Denn der Stammtisch ist nichts anderes als die urdemokratische Diskussion unter gleichberechtigten Burschen. Dieses Zusammentreffen fördert auch den Zusammenhalt von Jugendgruppen, was sehr wichtig ist.